Montag, 21. September 2009
"...und davon kann man leben?" oder was ist eigentlich arbeit?
Situationen wie die folgende erlebt eigentlich jeder geräuschkunst-schaffende und/oder –dienstleister mit schöner regelmäßigkeit:
Man wird bei einem gesellschaftlichen anlass egal welcher art einer gruppe einem bis dato unbekannter menschen vorgestellt : „hallo zusammen, das ist übrigens mein mann/freund/kollege/whatever, der xy.“. im verlaufe des sich anschließenden smalltalks fällt dann mit unumstößlicher sicherheit irgendwann die frage: „und, wat machst du so?“ „ich bin musiker“ „echt, spielst du in ner band, oder was?“ „na ja, eigentlich in mehreren“ „ahh, und was macht ihr so für musik?“ „kommt drauf an, alles mögliche, viel cover, aber halt auch eigenes zeug, so ziemlich alles dabei von jazz bis metal, sag ich mal“ „ah ja, und was machst du sonst so?“ „nix, ich mach nur musik.“ „eeechhht, und davon kann man leben?“ (gedacht): „nein, ich bin eine metaphysische erscheinung, die man auf www.geisterfürjedegelegenheit.de als partygag buchen kann. In wirklichkeit bin ich nach beendigung meiner beruflichen ausbildung in kürzester zeit an unterernährung gestorben.“ (wirklich gesagt): „joo, geht schon, man wird halt nicht reich, aber zum leben reicht’s“ „na ja, dafür haste ja dein hobby zum beruf gemacht, ist doch auch was.“
Ist doch auch was, in der tat. man gewöhnt sich mit der zeit sogar daran, das wohlwollend-herablassende, das sich in der regel gegen ende der konversation in den tonfall des gegenübers einschleicht, schlicht zu überhören. Nichtsdestotrotz kann ich mich öfters nach solchen unter unterhaltungen der frage nicht erwehren, was denn eigentlich arbeit ist, und ob mein tun und lassen denn per engerer definition dazugehört. Die engere definition sieht für einen nicht unbeträchtlichen teil der menschen in unserem kulturkreis immer noch so aus: arbeit ist, was dem broterwerb bzw. der beschaffung des dafür notwendigen transfermittels geld dient.
Wenn ich also songs schreibe, die nicht morgen bei 1 live laufen, anschliessend einen dazu passenden part für mein instrument ersinne, diesen übe, um ihn angemessener weise darbieten zu können, mit einer band etliche stunden im proberaum verbringe, um dann ein konzert zu spielen, das zwar vielleicht sogar einige zuhörer findet, aufgrund der dafür notwendigen infrastruktur (siehe frühere verbale ausschweifungen in diesem blog) kaum gewinnt abwirft, ist dies alles mein privatvergnügen. Den teil des „vergnügens“ kann ich für weite teile des beschriebenen prozesses sogar durchaus gelten lassen, auch wenn es an manchen tagen schwerfällt sich bspw. Nach einem unterrichtstag an der musikschule (eindeutig „broterwerb“,bereitet aber auch immer wieder sehr viel vergnügen, wenn auch nicht konstant) oder sonntags, wenn man bereits Freitag und Samstag auf partys zur unterhaltung der gäste aufgespielt hat (dito), im dienste der kunst in den proberaum zu schleppen. „privat“ hingegen ist all das nicht: eine band, selbst wenn sie nur aus 2 leuten besteht, ist immer ein soziales gefüge, das den strukturen, die andere menschen an ihrem arbeitsplatz vorfinden, sehr ähnlich ist. Ein öffentliches konzert, egal wie gut oder schlecht besucht, ist schon dem namen nach alles andere als privat.
Nun ist es so. wenn man sich mal, bspw in zeitschrifteninterviews oder talkshows, die meinungen von leuten aus so unterschiedlichen bereichen wie wirtschaftswissenschaften und philosophie zu gemüte führt, die sich zu diesem thema gedanken machen, so stimmen diese sehr oft in einem punkt überein: vollbeschäftigung (gerade im momentanen wahlkampfwahn brandaktuelles thema) gibt es seit über zwanzig jahren nicht mehr und kann es aufgrund der in dieser zeit erwachsenen strukturen auch nie wieder geben. Schlussfolgerung: erwerbsarbeit als alleinig seligmachende existenzrechtfertigung ist ein auslaufmodell, es traut sich nur noch keiner, das zu sagen. Was an ihre stelle treten wird, weiss natürlich noch keiner so richtig, es kann aber letzendlich nur darauf hinauslaufen, das menschen ihren interessen, bedürfnissen und begabungen entsprechend etwas tun, was der gesellschaft zu gute kommt, ohne das man die tatsächlich dafür aufgebrachte lebenszeit 1 zu 1 in lohn übersetzt. Ich will eigentlich nicht zu politisch werden, aber trotzdem: was ist denn in diesem zusammenhang an der idee eines staatlich finanzierten grundeinkommens so falsch?
Kurzer nebenkriegsschauplatz zum thema „tatsächlich dafür aufgebrachte lebenszeit“: auch heute schon ist nicht alles, was in vielen berufen auf dem stundenzettel steht, tatsächlich erwerbsarbeit im oben beschriebenen engeren sinne. Ich will hier keinem auf die füße treten, und ich rede auch nicht von leuten, die morgens die karte einstecken und dann 8 stunden am fließband stehen oder von krankenhausangestellten, die aufgrund der unterbelegung ständig doppelschichten machen, oder,oder,oder. Ich habe mir aber in letzter zeit immer öfter mal den spass erlaubt, leute, die in den verschiedensten arten von büros arbeiten (auch hier gibt es natürlich zahlreiche ausnahmen) in privaten diskussionen zum thema mit der these zu konfrontieren, das sie die arbeit, für die sie täglich 8 stunden vor ort sind, auch in 5-6 erledigen könnten, wenn sie ernsthaft wollten und den einen oder anderen e-mail-check,etc. weglassen würden. In 95% der fälle habe ich ein schmunzelndes nicken als reaktion erhalten.
Wenn man das tatsächlich in die tat umsetzen würde, hätten die auch mehr zeit, auch unter der woche mal zu meinen konzerten zu kommen ;-).
Scherz beiseite: ein konzert kann menschen freude bereiten, sie vielleicht von irgendwas ablenken, was ihnen gerade auf den geist geht und, selbst wenn es ihnen nicht gefällt, vielleicht zum nachdenken anregen. Das ist meiner meinung nach ein gesellschaftlicher mehrwert. Ob man die vorbereitung und durchführung (musikalisch wie logistisch) eines solchen jetzt arbeit nennt oder nicht, ist letzten endes egal, es erfüllt jedenfalls für denjenigen, der es tut viele der obigen kriterien und ist somit sinnvoll und notwendig, unabhängig davon, wie viel euro nachher in der kasse sind.
Damit dieser etwas ernsthaftere beitrag nicht ganz den humoristischen touch verliert, habe ich für den eingangs beschriebenen dialog mal die imaginären seiten gewechselt:
„und, was machst du so?“
„ich bin arzt“
„ach echt, operierst du pateinten im krankenhaus und so?“
„nee, ich hab ne kleine allgemeinarzt praxis um die ecke von nem altenheim.“
„ahh, und was macht ihr da so für medizin?“
„na ja, eigentlich alles, viel husten/schnupfen/heiserkeit aber auch –herr doktor ich hab rücken- oder mal nen eingewachsenen zehennagel wegmachen und so.“
„und, das gibt bestimmt n haufen kohle, oder“
„na ja, is schon ordnung aber wennse kinder hast und n haus abbezahlen musst, is dat auch nich mehr die welt…“
„na ja, dafür haste wenigstens nen beruf, der gesellschaftlich anerkannt hast und wo du solche gespräche nicht dauernd führen musst, ist doch auch was, oder?“

…weiterführenden literatur zum thema gibt es übrigens von dem von mir sehr verehrten oliver uschmann, insbesondere in seinen büchern „vollbeschäftigung“ und „murp“, aber auch sven regeners „herr lehmann“ enthält einige aufschlussreiche passagen ;-)
Bis demnächst,
newsgini

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Rebels without a cause!?
Jou, manchmal gewinne ich wirklich schon den Eindruck, dass man in diese Rolle gedrängt wird...

Also, ich muss zwar sagen, dass ich mich vom linken Parteiprogramm distanzieren möchte, weil ich das für realitätsfreie Bauernfängerei und somit schon glatt für verbrecherisch halte, aber das mal ganz beiseite gelassen.

Newsgiri, du sprichst mir wiedermal so aus der Seele.
Ich kenne dieses Bild natürlich von vielen Seiten. Aber auch mich trifft es in sehr ähnlicher Form.

"Und was machst du sonst so?"
- "Nichts. Das ist mein Beruf."
- "Du stehst jeden Abend hier?"
- "Nein, dieser Beruf beinhaltet tatsächlich etwas mehr als nur das alleinige Hinter-der-Theke-Stehen. Es mag dir erstaunlich erscheinen, aber in Wirklichkeit ist das eine recht vieldimensionale Angelegenheit."

Oder, auch beliebt:
"Und was willst du in zwanzig Jahren machen? Du willst doch nicht allen Ernstes sagen, dass du in zwanzig Jahren immer noch hier stehen willst?!"
Gottseidank kam ich in diesem Gespräch auf die clevere Idee, mal einfach die Gegenfrage zu stellen:
"Was machst du denn so?"
- "Ich bin Jeansfachverkäufer in einem Herrenbekleidungsgeschäft."
- Tja also, ehrlich gesagt. Wenn ich diesen Job hätte, dann hätte ich schon SEIT zwanzig Jahren nicht mehr dortr stehen wollen...

Oder: "Du verschwendest hier doch deine Fähigkeiten und Talente, du bleibst doch weit unter deinen Möglichkeiten!"
- Definiere doch bitte mal "verschwenden". Gibt es vielleicht noch so etwas wie subjektives Empfinden und Ansichtssache, oder gibt es nur noch das eine große medienpropagierte GESETZ, wann man seine "Möglichkeiten" am "effizientesten" "investiert" oder "ausgeschöpft" hat?

Da kann man doch nur noch mit gleichen Mitteln kontern und das ebenso medienpropagierte Banner zücken: Ich kann mich hier "persönlich" "individuell" "entfalten", mich mehr "einbringen", meinen "Visionen" "leben", mich "VERWIRKLICHEN", da fühl ich mich einfach "ausgefüllter".

Dann verstehen sies manchmal auf einmal wieder.

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not exactly,i guess?!
... ich weiß genau was du meinst, finde mich persönlich allerdings eher unrebellisch dabei, weil wir haben ja ne "sache", um die es geht, oder?! ich bin nicht auf der höhe der tagespolitik, aber soweit ich weiß, ist ein stattlich finanziertes grundgehalt gar nicht teil des wahlprogramms zumindest DER linken. ansonsten kann man über realitätsferne und bauernfängerei sicher besser persönlich streiten, hoffentlich bald mal wieder.
was den rest angeht möchte ich gerne eine ermunterung loswerden: ich hoffe doch inständig, das ihr den laden in zumindest artverwandter weise noch 20 jahre so macht, denn alles andere wäre doch ein herber verlust für alle, die das in seiner ganzen komplexität zu schätzen wissen ;-)
und dein gesprächspatner kann ja weiterhin über den unterschied zwischen stone-washed, moon-washed und gar-nicht-washed sinnieren...

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Hihi - jaja!! Das ist es ja! Ich fühl mich ja selber auch total unrebellisch, mein Leben plätschert eigentlich vergleichsweise friedlich dahin und darüber bin ich sogar äußerst froh, weil aktives Rebellentum Stress bedeutet, Anecken, Action, all das also, was ich so gar nicht erstrebe. Und die Rolle eines Rebellen steht mir da wie einer kleinen Haselmaus ein Zorro-Kostüm, finde ich.
Ich meinte nur, dass man irgendwie von außen manchmal in diese Rolle gedrängt wird, dass man, weil man anderen nicht ganz ins konventionelle Bild passt, dafür gehalten wird, und dementsprechend auch noch oft zusätzliche Attribute zugeordnet bekommt, die mit Rebellentum assoziiert werden. Dabei bin ich doch eigentlich ganz wert-konservativ...
Erinnert mich ein bisschen an Loriot: "Ich will NUR HIER SITZEN."... :)

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P.S.:

Ach ja, vergessen:

1 - der Gedanke des staatlich finanzierten Grundgehalts ist ja ein kommunistischer. Ich dachte, er gehöre zu einem der "Fernziele" der Linken, oder zumindest der PDS.

2 - natürlich kannst du auf weitere zwanzig Jahre Rover hoffen! Wir weichen keinen Millimeter von unseren Maximen ab, wir Rebellen. ;-)
Außerdem sind Rory und ich ja da nur die Spitze des Eisbergs, oder: die Vorhut der Front. Bevor man uns so einfach wegpustet, tauchen ja zuerst noch unsere Mitstreiter über der Bergkuppe auf, und an denen muss man dann erst mal vorbei. Wenn ich die Queen wär, würd ich euch alle zu Rittern schlagen. :O) Ansonsten bin ich aber froh, nicht die Queen zu sein,muss ich zugeben.

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