Dienstag, 8. Februar 2011
Sturm, Drang und Katharsis - "On Tour with The Tideline"
die mrs o.g., 18:07h
So, das war mal sowas von fällig. Zwei Wochen habe ich mich nun fast als Teil der Band The Tideline fühlen dürfen, habe dicht gefolgt 4 Liveauftritte aus der ersten Reihe miterlebt, unter den unterschiedlichsten Gegebenheiten und Bedingungen, und nicht zuletzt dann noch das Erscheinen der ersten The Tideline-CD als krönenden Abschluss.
Ich explodiere. Ich muss es AUFSCHREIBEN.
Eine Art Rückblick?? Abstrakte Abhandlung? Rundumschlag? Mir total egal. Hab einfach drauflosgeschrieben.
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Bands und ihre CDs lassen sich zum Großteil in zwei Kategorien aufteilen. Es gibt die, die aufgrund des ein oder anderen fraglich glücklichen Umstands die Möglichkeit geboten bekommen, ihre Musik fett und ultraprofessionell produzieren zu lassen - noch lange bevor sie (wenn überhaupt je) die Fertigkeiten und die Live-Erfahrung haben, auf der Bühne auch ansatzweise zu halten, was sie auf dieser fett produzierten CD versprechen.
Und dann gibt es die Bands, die bereits an die 1oo-x Konzerte unter z.T. robinson-crusoe-artigen Bedingungen auf dem Buckel haben, bevor sie endlich mal die Chance bekommen - und das oft in Eigenregie und wenig komfortabler Studiozeit - eine zumindest mittel-lowbudget CD-Produktion an den Start zu bringen.
So. Bei der ersten Gruppe mag die CD überzeugen, aber das Live-Erlebnis wird erschreckend enttäuschend ausfallen. Übrigens gilt das ja auch für viele "berühmte" Acts kein bisschen weniger.
Bei der zweiten Grupe ist es nun notgedrungen oft umgekehrt. Was sehr schade ist.
Nun würde Tideline eindeutig mehr zu der zweiteren Gruppe gehören. Diese Band hat sich in Aachen und Umgebung schon den Arsch abgespielt, und die "Groupies" sammeln sich nicht nur aufgrund der zwei attraktiven Frontfrauen. Es ist das herausstechendste Merkmal einer guten Liveband, dass sie eine besondere Energiedruckwelle von Leidenschaft ausströmt, was dann in den Menschen das Verlangen weckt, daran teil zu haben, sich darin ausgedrückt zu fühlen und sich darin aufzulösen - und zum Dank für die Erfüllung dieses Bedürfnisses wird der Fan seine Band lieben und ehren. Es ist etwas hauptsächlich Sinnliches, vielleicht sogar Archaisches. Der Erfolg liegt dem selben Prozess zugrunde wie Sex, oder, wenn man so will, dem freudschen Es: es gibt keine dauerhafte Befriedigung. Einmal damit angefangen will mans immer wieder haben. Und manchmal scheint es so zu sein - vielleicht wenn die Auflösung des Selbst besonders intensiv und schön war - dass man immer mehr will, je mehr man davon hat...
Btw - Ihr fragt euch grade, was das mit Tideline oder überhaupt mit Musik zu tun hat? Ihr könnt mich mal!
Nun steht Tideline für dieses Prinzip mehr als irgendwie beinahe alle anderen Bands, die ich persönlich kenne. Ihre Magie kratzt mit abgewetzen Krallen an der dünnen Zellwand zu Wahnsinn und Besessenheit, sie sind ein sinnlicher Exzess der widerstreitenden Gefühle, der Zerrissenheit, und dieser Wechselstrom entzündet sich zwischen Hauptsongwriter Bernard und Sängerin/Mitsongwriterin Julia, die wie zwei Hochspannungsmasten in der Brandung ihrer eigenen Musik stehen. Je tiefer man in die Musik und das Songwriting eintaucht, desto mehr fragt man sich, wie die beiden diesem Gewaltakt der Pole standhalten können, und ich bin fast sicher, hätten sie nicht die Band als Translator und Katalysator und als Erdung, könnten sie es nicht.
Dafür sind wir alle unglaublich dankbar (und die die es noch nicht wissen, sollten es jedenfalls schon mal prophylaktisch sein), denn wir als Zuhörer könnten davon nicht mehr profitieren.
Tideline sind eine Katharsis im besten grieschischen Sinne.
Im Prinzip könnte man jetzt auch die Zuhörer-Zielgruppe noch mal in zwei Kategorien aufteilen... nur ein Gedankenspiel...
Da gibt es die einen, für die die Faszination darin besteht, dass sie einen Trip durch eine Seelenlandschaft erleben dürfen, den sie am eigenen Leib so noch nie erfahren haben - und das fast ganz ohne Gesundheitsrisiko. Wie Filme gucken, fremde Gefühle für die Dauer der Zeit zu den eigenen machen und mitweinen oder mitjubeln. Nichts dran auszusetzen.
Und dann gibt es die, die ein paar mal in ihrem Leben dieses metaphysische Erlebnis haben, in etwas ihre EIGENEN Gefühle und ihr eigenes Leben (und ich kann euch sagen, bei den Songs ist das nicht nur ein spaßiger Spaziergang gewesen) kondensiert, konzentriert und konserviert zu finden, naja - und dann wird das Erlebnis geradezu dionysisch...
So, nachdem wir das also geklärt hätten. ^^ Übrigens - ihr müsst das ja nicht lesen.
Zurück zur Band.
Wie man im kleinen Umkreis Aachen für eine Band zwei so ausgezeichnete Sängerinnen auftun kann, die auch noch jede für sich mit so einem Charisma aufwarten können, bleibt ein kleines Wunder, das wir einfach mal dankbar hinehmen wollen.
Die zwei Stimmen ergänzen sich jedenfalls großartig. Julias sinnlich tiefe und dunkle, mal vergebend-versöhnlich warme, mal geradezu gewalttätig brutale, mal heiser in Zerbrechlichkeit schwindende Stimme ist ohne Zweifel eine in mindestens tausend, und ohne diese Stimme könnten die Abgründe der Songs niemals durchschifft werden in dem verzweifelten Ausmaß wie sie es tun.
Annes Stimme als weicheres zarteres Element nimmt den Kanten ein wenig die Härte und Schärfe, sie setzt die hohen Akzente, verleiht dem gesamten Gesangskörper sanfte Rundungen und ist vor allem in den ruhigeren, balladeskeren Songs wie Balsam für die aufgepeitschten Sinne, glasklar wie Wasser und mit einer wunderschön zehrenden Note von Verletzlichkeit.
Die Rhythmusfraktion von Bil und Mario - in der Live-Variante die ich nun erlebt habe in der nicht unheiklen Abmischung von E-Bass und Cajon - schiebt wie der bessere Herzschrittmacher derartig unmissverständlich als zwingend Einheit im Spannungsaufbau nach vorne, dass es einem mannhaft atlantischen Sog Ehre macht.
Wer die Geigenmelodien schreibt weiß ich nicht. Aber die Melodien sind so ausdrucksstark und tragend, dass sie wie eine dritte Stimme fungieren, die sich mit viel Gespür durch die Struktur hindurchwirkt, immer charakterstark, niemals zu aufdringlich, und vor allem niemals schluchzig. Dass Geige sowieso per definitionem schon die Musikwerdung von Sehnsucht ist, darüber braucht man ja sicher keine Wort mehr zu verlieren. Die Gitarre hingegen ist nun wieder ein Wechselbalg der Gefühle. Zwischen trance-artigen Repetitionen, die wie ein verstörtes Mantra wirken, und beinahe zärtlichem Hintergrundbegleiten bleibt die Gitarre insgesamt EHER ein melancholisches Element, mehr Wogen als Brandung. Trotzdem weiß sie männlich, führend und markant aufzutreten, und akzentuiert einstweilen irgendwie keck mit kurzen knackigen Akkordfolgen oder kurz behutsam entfesselten Psycho-Riff-Passagen. Und neben allen pfiffigen und schönen Ideen, mit denen sich Bernards Gitarre auszeichnet, muss man als eine seiner größten Stärken sicherlich seine Zurückhaltung innerhalb der Songgefüges hervorheben. Das Talent des Maßhaltens, der Bescheidenheit, der richtigen Dosis und des Minimalismus ist eins, das Gitarreros nicht unbedingt generell nachgesagt wird.
Überhaupt muss man nun mal bei Bernard bleiben, es wird allerhöchste Zeit, auf das Songwriting einzugehen.
Ich sag jetzt etwas, dass ich "in meiner Position" eigentlich vielleicht nicht sagen sollte, und ich glaube ich habe es auch noch nie getan.
ABER: ich erhebe ausdrücklich keinen unbedingten Objektivitätsanspruch! Das ist mein subjektives Empfinden, ätsch.
Für mein Emfpinden sucht das Songwriting von Tideline wirklich im hiesigen Umfeld seinesgleichen.
Gesangsmelodien, Instrumentalmelodien, Hooklines, Refs, Texte, Dramaturgie - vor allem die Dramaturgie. Das Gesamtarrrangement ist ein Kunstwerk, und ich sage das im vollen Bewusstsein, dass es mit Sicherheit an jedem einzelnen Instrument im Aachener Raum größere Virtuosen gibt, wie auch zig-mal kompliziertere Songstrukturgebilde.
Und was Bernard und seine Mannen und Frauen da geleistet haben, diese Kunstwerke auch noch mit eingeschränkten Mittlen auf eine CD zu bannen, die - um jetzt, falls sich jemand erinnert (ist ja schon sehr lange her) wieder ganz oben am Anfang des Textes anzusetzen - ich glaube, das kann man ohne Bedenke konstatieren, ist trotz soundlicher Begrenztheit in die sehr rare dritte Kategorie zu zählen.
Die nämlich, in der ein Live-Erlebnis, das kaum einzufangen ist, im fast-maximalst-möglichen Ausmaß auf Scheibe manifestiert wurde.
Und das auch noch ohne große Studioroutine. Und das gerade bei einer Band deren Musik noch weit mehr als andere von der Authentizität einer rein sinnlich-leidenschaftlichen Energiedruckwelle lebt als von technischen Reproduzierbarkeiten.
Ich ziehe meinen Hut, vor allen. Aber vor allem vor Bernard, weil ich eine leise Ahnung bekommen habe von dem, was er geleistet hat, und vor Julia, die als Hauptsängerin den Stunt vollbracht hat, ohne viel Aufnahmeroutine in einem Aufnahmekabüffchen das Herzblut in der Stimme zu erhalten (btw - etwas das Paul z.B. leider immer noch nicht schafft!!! ;)) .
Die Endlosschleife des Mantra-Singsangs "I know your heart's melody..." geht mir so bis ins Mark, dass es mich in die Knie zwingen will.
So, und jetzt drücke ich zum 30sten mal Repeat All und frage mich ob das Bandmitlgield von Development Disorder, das über mir wohnt, Mario schon Drohbriefe schreibt, weil die Tante von unten ihn zum Wahnsinn treibt mit der Musik. xD
Danke euch noch mal für eine außergewöhnliche Zeit.
xx
http://www.facebook.com/pages/The-Tideline/140240689371116
CD gibts dort und bei uns im Rover.
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newsgini letterowitsch,
Donnerstag, 10. Februar 2011, 15:18
wuff...
....da ist man mal ein weilchen real-räumlich wie auch virtuell bedauernswerter weise dem rover fern, und dann findet man bei zumindest virtuellem wiedereintritt hier eine solche huldigung an die tonkunst vor. da hoffe ich doch mal stark, das die rotation des beschriebenen tonträgers anhält, bis ich zum nächsten mal im realen rover aufschlage, denn nun bin ich doch enormst neugierig geworden. hmmm, vielleicht sollte ich einfach mal freitag....
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die mrs o.g.,
Donnerstag, 10. Februar 2011, 17:50
"vielleicht sollte ich einfach mal freitag...."
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die mrs o.g.,
Freitag, 11. Februar 2011, 13:38
Und btw - für das Live-Erlebnis könnte ich da schon mal den 08. April anmerken, der da wäre das offizielle (naja, zugegeben leicht nachgezogene) CD-Relase Konzert.... ^^
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